16. Tag
Es gibt Gegenden auf der Welt, die sind so schön, dass man sie an sein Herz pressen möchte. [Antoine de Saint-Exupéry]
Land in Sicht! Nach herrlichen Seetagen erreichen wir Madeira, die Hauptinsel der gleichnamigen Inselgruppe. Und auch hier – wie könnte es anders sein - war Christoph Columbus lange vor uns da. 1478 besuchte er die Insel als Zuckerhändler. Der Zuckerrohranbau spielte eine sehr wichtige Rolle. Die erste Wassermühle zur Verarbeitung des Zuckerrohrs wurde 1452 erbaut und die Levadas etwa zur gleichen Zeit angelegt. Mitte des 15. Jahrhunderts belieferte Portugal den europäischen Zuckermarkt. Allerdings brachte der ausgelagte Boden immer schlechtere Erträge und entstanden stattdessen immer mehr Weinberge.
Die Blumeninsel im Atlantischen Ozean besticht durch ihre außergewöhnlichen Landschaften. Die zerklüftete Vulkanlandschaft wird von den alten Bewässerungskanälen durchzogen, die mit ihren Fußpfaden zu langen Wanderungen einladen. Die atemberaubende Steilküste, das Hochmoor Paul da Serra und der 1862 m hohe Pico Ruivo sind weitere Anreize, dieses herrliche Fleckchen Erde näher zu erforschen. Nicht zu vergessen, die unvorstellbare Artenvielfalt der Blumen und Pflanzen, die Naturliebhaber in einen Rausch der Farben versetzen. Dabei bedeutet Madeira übersetzt "Holz" und hat so gar keine Assoziation mit der Inselflora.
Schade, uns bleibt nur ein Tag und den werden wir in Funchal verbringen. Nach dem Frühstück machen wir uns auf den Weg. Unsere Ziele sind die Seilbahn und die Korbschlitten.
Da wir nicht zu den frühen Vögeln gehören und die Würmer lieber anderen überlassen, entscheiden wir uns zunächst für eine Rundfahrt mit einem der Hop-on-Hop-off Busse. Ein, wie ich schon daheim feststellen musste, nicht ganz einfaches Unterfangen, gibt es doch einen roten und einen gelben Bus mit verschiedenen Routen. Der Shuttlebus der MS6 setzt uns in der Nähe der Busse ab. Ich frage mich durch, welcher Bus bei der Seilbahn hält und eine Stadtrundfahrt macht. Wir entscheiden uns für einen Bus der gelben Linie, sind es mit ihm nur zwei Stationen zur Seilbahn Teleferico Funchal - Monte.
Die Schlange ist sehr lange, wir beschließen trotzdem zu warten, besser wird’s sicher nicht werden. Wider Erwarten geht es sehr schnell. Die Gondeln halten nicht, sie werden langsamer und man muss bei gedrosselter Fahrt einsteigen. Je 6 Personen pro Gondel, wir müssen uns sputen. Es lohnt sich. Die 15minütige, spektakuläre Fahrt zum Monte hinauf ist 3.173 m lang überwindet einen Höhenunterschied von 560 Metern. Während der Fahrt genießen wir den grandiosen Blick über Funchal.
Es ist unbeschreiblich schön und wir wissen gar nicht, wohin wir schauen sollen. Die Britannia liegt neben der MS6. In der Gondel sitzen wir neben zwei Engländerinnen, die wissen wollen, was wir vorhaben. Korbschlitten, ja, das hätten sie gestern gemacht. Sie warnen uns, dass man keine Zeit habe, sich richtig zu setzen. Am besten sollen wir uns beim Einsteigen sofort setzen, weil die Schlitten losfahren würden, wenn man quasi mit einem Fuß draußen steht. Und dann sei es viel zu schnell. Man könne sich nicht einmal anschnallen. Wir schauen uns an, bedanken uns für den Tipp und denken, so schlimm wird’s schon nicht sein. Schwere Unfälle sind uns jedenfalls nicht bekannt. In Monte angekommen, verabschieden wir uns und wünschen einander eine gute Weiterreise.
Monte ist ein kleines Örtchen, bekannt vor allem durch die Kirche Nossa Senhora do Monte. Im 16. Jahrhundert soll einem Hirtenmädchen hier die Muttergottes erschienen sein, worauf im Jahr 1741 zu Ehren der Heiligen Jungfrau Maria die Kirche erbaut wurde. Weitere Bekanntheit erreichte die Kirche, durch den Sarg des letzten Kaisers Österreichs, der im linken Seitenschiff aufgebahrt ist. Karl I. wurde nach dem Ersten Weltkrieg in die Verbannung nach Madeira geschickt und ist dort 1922 verstorben. Bis zur Kirche sind es um die 74 Stufen. Nicht nur die Kirche ist sehenswert, es bietet sich uns eine schöne Aussicht auf Funchal.
Unweit der Kirche ist der prächtigste Botanische Garten Madeiras, der Jardim do Monte Palace. Neben Pflanzen zeigt er auf einer Fläche von 70.000 m² u. a. auch Kachelbilder, Mineralien und Kunstobjekte. So sehr es uns auch reizt, den Garten zu besichtigen, wir wollen zuerst eine Korbschlittenfahrt machen. Zu diesem Zeitpunkt denken wir noch, wir könnten anschließend mit dem Hop-On-Hop-Off-Bus eine Runde drehen und in Monte Halt machen.
Schon auf dem Weg zur Kirche begegnen uns die "Carreiros", die weiß gekleideten Korbschlittenfahrer mit ihren Strohhüten. Es ist gerade eine Fuhre Korbschlitten mit einem Lastwagen angekommen, den sie entladen müssen.
Einem britischen Geschäftsmann verdankt Funchal die heutige Touristenattraktion. Im 19. Jahrhundert suchte er nach einer Möglichkeit, den mühsamen Weg über die engen und steilen Pflasterwege von Monte hinab zu seinem Handelskontor in Funchal nicht mehr zu Fuß überwinden zu müssen.
Straßen gab es keine und für Pferde und Wagen war der Weg durch die Steilhanglage nahezu unpassierbar. Kranke und alte Menschen, sowie wohlhabende Touristen wurden in Hängematten oder Sänften hinuntergetragen. Für den findigen Geschäftsmann keine Option, angesichts der täglichen Kosten. Und so kam er auf die Idee, einen Korbschlitten, eine Mischung aus Korbsofa und Wäschekorb auf Holzkufen bauen zu lassen. Der Schlitten wurde damals schon von zwei Männern angestoßen und gelenkt. Ernest Hemingway, dessen Leben voller aufregender Erlebnisse war, beschrieb die steile, vier Kilometer lange Fahrt als eines der aufregendsten Erlebnisse seines Lebens.
Wie zuvor bei der Seilbahn müssen wir auch hier anstehen und können das Spektakel aus der Nähe anschauen. Endlich ist es soweit! Unsere Carreiros platzieren uns in aller Ruhe in dem aus Weidenruten geflochtenen Korbsessel. Keine Ahnung, was gestern mit den Engländerinnen los war. Uns bleibt sogar Zeit für ein Foto. Kaum vorstellbar, dass wir bald mit einer halsbrecherischen Geschwindigkeit den Abhang hinunterrasen werden. Zu Beginn der Fahrt müssen wir sogar angeschoben werden.
Aber dann: die steil abfallende, enge und kurvige Straße vor uns, geht an parkenden Autos und Fußgängern vorbei. Allerdings fahren wir nicht so schnell, wie wir gedacht haben. Einen Teil der Strecke muss der Schlitten sogar gezogen werden. Unsere Carreiros machen ihre Sache gut. Kaum zu glauben, dass sie die Schlitten nur mit Körperkraft und ihren mit Gummisohlen bestückten Lederstiefeln lenken, ziehen und immer rechtzeitig abbremsen können. Leider ist die Fahrt viel zu schnell vorbei. Es bleibt ein unvergessliches Erlebnis, das in Form eines Fotos für 10 € mit nach Hause genommen werden kann.
Die Fahrt endet auf halber Höhe der Stadt. Entweder man fährt mit dem Taxi nach Funchal, geht zu Fuß oder wie wir, die Straße rechts hoch zur nächsten Bushaltestelle. Mit dem örtlichen Bus fahren wir zurück in die Stadt und steigen bei einer Haltestelle der gelben Hop-On-Hop-Off-Busse aus. Und stehen und stehen und stehen. In der Zwischenzeit sind zwei rote Busse an uns vorbeigefahren, ein gelber ist nicht in Sicht. Als wir schon gar nicht mehr damit gerechnet haben, kommt endlich einer. Der Busfahrer besieht sich unsere Tickets und meint, es täte ihm leid, er könne uns nicht mitnehmen, wir hätten die Strecke aus Funchal raus ins 4 km entfernte Cãmara de Lobos gebucht. Wir sind fassungslos und ich erkläre ihm, dass wir hier schon eine halbe Stunde stehen würden und will wissen, wann der richtige Bus komme.
Nun, meint der Busfahrer, an dieser Haltestelle jedenfalls nicht. Er dürfe uns leider nicht mitnehmen. Wir stehen noch ratlos im Bus, er muss weiter. Endlich gibt er sich einen Ruck und bietet uns an, uns drei Stationen mitzunehmen. Dort sei dann eine Haltestelle für unsere Tour.
Wir bedanken uns überschwänglich bei ihm. Beim Aussteigen zeigt er uns den Weg zur richtigen Haltestelle. Eigentlich haben wir so gar keine Lust mehr und wollen zurück aufs Schiff. Unser Plan mit Monte und einer Stadtrundfahrt ist total ins Wasser gefallen.
Aber da kommt ein Bus, der uns sogar mitnimmt, und wir entscheiden uns, mitzufahren, wohin auch immer. Zuerst ist die Fahrt nicht besonders schön. Wir klappern die Hotels ab. Doch dann lassen wir Funchal hinter uns und entdecken eine atemberaubend schöne Landschaft. Schade, dass wir in Cãmara de Lobos keine Zeit zum Aussteigen haben. Das hätte sich wirklich gelohnt. So sind wir letzten Endes doch froh, die Tour gemacht zu haben.
Zurück an Bord stoßen wir mit einem Glas Sekt auf den wunderschönen Tag an. Anschließend geht’s unter die Dusche und zum Abendessen.